Torstraße 1

Sybil Volks

Torstraße 1, Roman, dtv

Ein Jahrhundert, zwei Familien und ein Haus im Herzen Berlins.

Berlin, Torstraße 1: Das imposante Gebäude steckt voller Geschichte – und für Elsa voll persönlicher Erinnerungen. Hier kam sie 1929 zur Eröffnung des Kaufhauses Jonass zur Welt, als uneheliches Kind der Verkäuferin Vicky. Hier begann die große, unmögliche Liebe zwischen Vicky und Harry Grünberg, dem Sohn der jüdischen Kaufhausbesitzer. Und Elsas tiefe Freundschaft zu Bernhard, dessen Vater das Haus mit gebaut hat. Sie erleben, wie Familie Grünberg vertrieben wird, die Hitlerjugend einzieht und nach dem Krieg das Institut für Marxismus-Leninismus. Trotz Krieg und geteilter Stadt bleiben Vicky und Harry, Elsa und Bernhard einander verbunden.

Ein Gesellschaftsroman und eine Erzählung von Liebe und Freundschaft in wechselvollen Zeiten ­– ausgehend von der wahren Geschichte des Hauses.

Verfilmt als TV-Serie von den Produzenten von »Babylon Berlin«

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»Elsa geht einen Schritt auf das Tor zu, den Eingang zur Torstraße 1.«

Die Geschichte der Torstraße 1

Vom Kaufhaus über Hitlerjugend und Politbüro zum Club-Hotel

Die Geschichte des Gebäudes in der Torstraße 1 in Berlin beginnt in den Jahren 1928/29. Die jüdischen Kaufmänner Hugo Halle und Hermann Golluber ließen auf dem Gelände eines ehemaligen Exerzier- und Reithauses das Kreditwarenhaus ›Jonass & Co‹ im Stil der Neuen Sachlichkeit errichten.
Auf 15.000 m² bot das Kaufhaus seine Waren an. Die Kunden konnten Waren mit einem Kaufschein erwerben: Ein Viertel des Warenwerts wurde angezahlt, der Rest in drei Monatsraten abgezahlt. Dies war besonders für die ärmere Bevölkerung des Berliner Ostens attraktiv.

Dem Kaufhaus gegenüber wurde 1930 auf dem Nikolai-Friedhof der SA-Sturmführer Horst Wessel begraben, sein Grab wurde zum Wallfahrtsort der Nationalsozialisten. Nach der Machtergreifung der NSDAP war der Inhaber Hermann Golluber (Hugo Halle war bereits verstorben) schweren Repressalien ausgesetzt und hatte eine ›Arisierung‹ seines Kaufhauses zu befürchten. Um selbiger zu entgehen, nahm er zwei ›arische‹ Angestellte in die Geschäftsführung auf. Die Bemühungen waren jedoch vergebens. Der Gründer des Kaufhauses ›Jonass & Co‹ wurde unter dem Naziregime schrittweise aus dem eigenen Geschäft gedrängt. Golluber floh 1939 mit seiner Familie in die USA, wo er kurze Zeit später verstarb.

Die neuen Besitzer des Kaufhauses ›Jonass & Co‹ verlegten den Warenverkauf 1934 in neue Räumlichkeiten am Alexanderplatz 2. Das von Juden erbaute Gebäude in der Torstraße 1 vermieteten sie an die NSDAP, die es zunächst für Propaganda-Ausstellungen nutzte. Nach einem Umbau zog die Verwaltung der Reichsjugendführung (Hitlerjugend) mit 1.000 Angestellten unter dem Reichsjugendführer Arthur Axmann ein. 1942 kaufte die NSDAP das Haus. Wie durch ein Wunder blieb das prächtige Gebäude in der Torstraße 1 im Zweiten Weltkrieg fast unbeschädigt.

Nach der Teilung Deutschlands schrieb das Gebäude erneut politische Geschichte: Als ›Haus der Einheit‹ beherbergte es das Zentralkomitee der SED und war als Sitz des Politbüros bis 1958 das Machtzentrum der DDR. Der Präsident der DDR, Wilhelm Pieck, und der SED-Vorsitzende Otto Grotewohl hatten dort ihre Arbeitsräume.

Wo zu Zeiten des Nationalsozialismus 20 Jahre zuvor gegen jüdische Kaufleute demonstriert wurde, protestierten während der Unruhen am 17. Juni 1953 aufgebrachte Arbeiter gewaltsam gegen das DDR-Regime.

Nachdem das Politbüro an den Werderschen Markt gezogen war, wurde das Gebäude zum Institut für Marxismus-Leninismus umfunktioniert. Hier befanden sich auch die geschichtlichen Archive der KPD und das Zentrale Parteiarchiv der SED.

Nach der Wende und der damit einhergehenden Auflösung des Instituts stand das Gebäude seit 1995 leer. Es wurde an die Nachkommen der ursprünglichen Besitzer zurückgegeben, und die jüdische Erbengemeinschaft bot das geschichtsträchtige Gebäude schließlich zum Kauf an.

Erst acht Jahre später fand sich eine Investorengruppe, die den Komplex kaufte. Nach aufwendigen und denkmalgerechten Sanierungen eröffnete 2010 das Soho House Berlin. Aus dem Kaufhaus, dem Sitz der Reichsjugendführung und der SED-Zentrale ist nun ein Hotel und exklusiver Privat-Club geworden. Vor allem ein internationales Publikum aus Medien-, Kunst- und Modewelt geht hier ein und aus, trifft sich im Wellness-Bereich, an der Bar oder im Pool auf dem Dach.

Interview mit Ulrika Rinke und Marianne Bohl, dtv

Frau Volks, in Ihrem Nachwort zum Roman erwähnen Sie einen Artikel in der Berliner Zeitung über das Gebäude in der Torstraße 1. In dem Text hieß es: »Wenn Häuser Geschichten erzählen könnten, hätte dieses Gebäude den Stoff für einen ganzen Roman.« Was an diesem Stoff und an diesem Haus hat Sie so sehr fasziniert, dass Sie beschlossen, selbst diesen Roman zu schreiben?

Mich hat fasziniert, dass durch ein ganzes turbulentes Jahrhundert hindurch dieses Haus stets Zeittypisches verkörpert hat: vom Kaufhaus jüdischer Inhaber über die Hitlerjugend und die Zentrale der SED bis zu Leerstand und Neueröffnung als exklusiver Privat-Club für die internationale Medien-Society von heute. Und mit dem Wunsch, dieses bemerkenswerte Haus für viele lebendig werden zu lassen, wurden Elsa und Bernhard geboren und die Geschichte nahm ihren Lauf.

Eine Geschichte, die so viele Jahrzehnte umspannt und so eng mit der Geschichte Deutschlands und Berlins verwoben ist, lässt sich nicht im luftleeren Raum erzählen. Auch die eigene unmittelbare Lebenserfahrung kann nicht ausreichen, zumal ja die Geschichten sowohl in Ost- als auch in Westberlin spielen. Man braucht enorm viel historisches Wissen, selbst wenn es sich um Details handelt, die nur im Hintergrund eine Rolle spielen – der Kohleersatz Branda beispielsweise, dessen Geruch zur Zeit der Berliner Luftbrücke in Vicky und Elsas Wohnung vorherrscht. Wie sind Sie bei der Recherche vorgegangen?

Mit der eigenen Lebenserfahrung wäre ich hier nicht weit gekommen 😉 Aber Geschichte, nicht zuletzt Stadtgeschichte, finde ich total spannend. Und wie die große Geschichte die vielen kleinen Leben beeinflusst – und umgekehrt –, ist eine zentrale Frage des Romans. Ich habe in jedem Kapitel versucht, für das jeweilige Jahrzehnt eine typische Stimmung einzufangen, Motive, Musik, Gerüche, Bilder. 
Und da Sie das Kapitel 1949 ansprechen: Jeder kennt die Luftbrücke, die Rosinenbomber, und die kommen auch vor. Aber lebendig wird die Zeit erst, wenn Vicky und Elsie in der nach Branda riechenden Küche Lebensmittelkarten mit Rasierklingen fälschen oder nachts um zwei Uhr aufstehen und bügeln, sobald ihr Viertel seine Stromration bekommt. Solche Details habe ich in Zeitzeugenberichten gefunden. Die Berliner Zentral- und Landesbibliothek mit ihren Archiven ist eine Fundgrube, aber auch das Internet. Für die Szene in der Femina-Bar habe ich Billy Wilders Film »A Foreign Affair« von 1948 angeschaut, da war die Bar originalgetreu nachgebaut. Für die in der DDR spielenden Kapitel konnte ich unter anderem Freundinnen befragen, die sowohl innerhalb als auch am Rande des Systems Erfahrungen gesammelt haben. Um das Soho House von heute lebendig werden zu lassen, habe ich es zweimal besichtigt, zuerst vor dem kompletten Innenumbau und dann kurz vor der Wiedereröffnung 2010. 
Vor dem Umbau waren viele Räume verwüstet, Kabel hingen von der Decke, der Holzboden schlug Wellen. Andere Räume dagegen sahen aus, als wären sie vor Kurzem erst verlassen worden. Im ehemaligen Politbüro standen Einbauschränke offen, vergilbte Papiere lagen über den Fußboden verteilt, einschließlich des Passierscheins, den ich im Roman Elsa als Eintrittskarte in die Hand gebe. Und so puzzelt sich durch all diese Teilchen ein Hintergrund zusammen, eine Bühne, auf der die Figuren loslegen können.

Die Elemente dieser Bühne lassen sich recherchieren. Aber wie findet oder erfindet man die Menschen, die den Roman bevölkern, – von zeittypischen Figuren wie der alten Jüdin Chaja aus der »Mulackei«, die auf die kleine Elsa aufpasst, bis hin zu den tragenden Charakteren?

Ich denke mir die Figuren weitgehend aus. Meine Familie und Freund/innen lasse ich lieber raus, ich will ja weiterhin mit ihnen befreundet bleiben. Außerdem macht das Erfinden mehr Spaß, das ist auch für mich selbst neu und manchmal überraschend, was die Figuren dann so treiben. Chaja, eine Nebenfigur, ist eine der vielen meist armen »Ostjuden«, die damals im Scheunenviertel lebten, und somit ein Kontrast zur wohlhabenden jüdischen Kaufhausbesitzerfamilie Grünberg. Doch über das Zeittypische hinaus ist sie auch eine alte Frau, die krank in ihrer Souterrainwohnung liegt und die Schuhe der Passanten beobachtet, die an ihrem Fenster vorübergehen. Die Hauptfiguren Elsa und Bernhard, Vicky und Wilhelm haben vorab eine »Biographie« bekommen, Partner, Kinder, Berufe, Eigenheiten, Stationen ihres Lebens, wann sie sich begegnen, trennen und wiederbegegnen. Aber auch sie haben sich im Laufe ihres Romanlebens weiterentwickelt und sind immer mal wieder vom »vorgeschriebenen« Pfad abgewichen. Zum Beispiel als Vicky 1970 mit über 60 Jahren in die USA fliegt, um ihre große Liebe Harry Grünberg wiederzufinden, oder Bernhard zu Wendezeiten anfängt, die Wohnzimmerschrankwand samt seiner bis dahin glücklichen Beziehung zu zertrümmern.

Was brauchen Sie – neben diesem Hintergrundwissen über die Zeit, die Welt und die Figuren, die Sie beschreiben –, um arbeiten zu können?

Zum Schreiben brauche ich den größten anzunehmenden Luxus: Zeit und Ruhe. Viel mehr nicht. Natürlich muss und möchte man als schreibender Mensch auch rausgehen, um etwas von der Welt und den Mitmenschen mitzubekommen. Aber das Schreiben selbst geht für mich am besten zu Hause am PC. Äußerst langweilig, von außen betrachtet. Im Kopf aber immer wieder ein großes Abenteuer.

Welches von den acht Jahrzehnten, in denen der Roman spielt, war für Sie die größte schriftstellerische Herausforderung?

Die größte Herausforderung waren für mich die Dreißiger Jahre. Die sind sehr weit weg, gefühlt auch viel weiter weg als die Zeit davor, die Zwanziger, die der heutigen Zeit in vielem näher stehen. Über die Nazizeit ist schon so viel geschrieben worden und gleichzeitig ist sie noch immer ein Minenfeld, in dem man sich ungern bewegt. Aber auch hier waren es vor allem die nicht allgemein bekannten Vorkommnisse, die ich spannend fand. Zum Beispiel die hasserfüllte Propaganda gegen die »jüdisch-kapitalistischen Warenhäuser« und der perfide Prozess der »kalten« Enteignung, der auch das Kaufhaus Jonass trifft.

Und in welches Jahrzehnt würden Sie am liebsten für einen Tag eintauchen?

Spontan und von Herzen wären es die Zwanziger. Das ist sicher auch so eine Sehnsucht nach einem Deutschland und Berlin vor der Katastrophe. Vor dem Morden, der Vertreibung, der Zerstörung von Menschenleben, Kultur und Stadtbild. Aber wenn ich noch mal überlege und es wirklich nur für einen Tag wäre, würde ich die Dreißiger wählen. Gerade weil sie gefühlt am weitesten weg sind. Um es ein kleines bisschen besser zu verstehen.

»Ab und zu liest man Bücher, die kann man nicht aus der Hand legen, die lassen Geschichte lebendig werden und erschaffen Menschen, nach denen man süchtig wird. Genauso ging es mir mit Sybil Volks tollem Roman: Torstraße 1.«
Peter Twiehaus, ZDF Morgenmagazin, 29.11.2012

»Sybil Volks fängt 80 Jahre deutscher Geschichte so fesselnd ein, dass man nach 400 Seiten denkt: ›Schade, schon zu Ende?‹«
Stephanie Lamprecht, Hamburger Morgenpost, 15.11.2012

»Sybil Volks ist mit ›Torstraße 1‹ ein grandioser Roman gelungen, der die Leser in seinen Bann zu ziehen vermag, spannend, berührend, lebendig.«
Annette Gloser, histo-couch.de, 05.02.2014

»Eine schön erzählte Geschichte von erfundenen Menschen und einem wirklichen Haus mitten in Berlin.«
Monika Burghard, RadioBERLIN 88,8 – Büchertipps, November 2012

»Der Roman erzählt Geschichten, die das Jahrhundert geschrieben hat, vielfältig, schillernd schön, aber auch grausam.« Ingrid Mosblech-Kaltwasser, lifestylesite.de, 15.11.2012

»Dieses Buch lässt den Leser nicht los, auch weil die überzeugenden Charaktere ihm ans Herz wachsen.«
Eva Maria Nielsen, suite101.de, 23.11.2012

»Eine wunderbare Geschichte über Freundschaft und Liebe und ein emotionales Kapitel deutscher Geschichte.«
Kieler Nachrichten, 20.02.2013

„Jüdisches Kaufhaus, Sitz der Hitlerjugend, SED-Zentrale – und heute das Soho House. Eine Schriftstellerin fand in einem Gebäude an der Torstraße Stoff für einen beeindruckenden Roman.“
Jan Draeger, Berliner Morgenpost, 27.01.2013

»Eine gut konstruierte Geschichte, in der Liebe und Leid, Verbundenheit, Lüge und Angst durch politische Machtstrukturen stark geprägt und gut nachvollziehbar sind. Informativ und unterhaltsam.«
Frauke Richter, Rundbrief – Nachrichten und Verband Büchereien, März 2013

»Die Lektüre wird zu einem langen Kinobesuch, und es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis ein Produzent auf diesen Stoff aufmerksam wird und ihn in Szene setzt. … Wer sich erinnern will an die deutsche Geschichte oder wer andere an ihr teilhaben lassen möchte, dem sei „Torstraße 1“ empfohlen – als eine im besten Sinne unterhaltsame Lektüre … .«
Reinhard Hübsch, Nordwestradio Lesezeit, März 2013